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«Nein zum Gesetz des Dschungels!»

In Genf, Lausanne, Neuenburg und Freiburg sowie im Wallis haben die Zeitungsredaktionen am Dienstag, 11. Dezember, gegen die Aufkündigung ihres Gesamtarbeitsvertrages durch die Verlage in der Westschweiz demonstriert. 

Die Westschweizer Verlage kündigen den Westschweizer Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Journalistinnen und Journalisten. Am 5. Dezember liess ihre Dachorganisation Médias Suisses die Neuigkeit verlauten. Man verzichtet darauf, sich in schriftlicher Form mit den Sozialpartnern über die Arbeitsbedingungen zu einigen, also über Mindestlöhne, Lohnskala, Feriendauer, Lohnfortzahlung bei Krankheit, Mutterschaftsurlaub usw. Der gegenwärtige GAV, der 1600 bis 1800 Personen betrifft, ist bis 31. Dezember 2013 in Kraft. Médias Suisses versichert, sie wolle 2014 einen neuen GAV, der sich jedoch darauf beschränken solle, den Einstiegslohn in der Branche festzulegen. «Wir fordern, dass die Verlage mehr Freiheit bei der Festlegung der Löhne haben. Die Löhne sollen nach Verdienst und nicht automatisch nach Dienstalter definiert werden», hielt Valérie Boagno, Direktorin «Le Temps» und Präsidentin von Médias Suisses, am 6. Dezember in «Le Temps» fest. Dieser einseitige Entscheid der Verlage kommt bei den Journalistinnen und Journalisten – gelinde gesagt – sehr schlecht an. Er sorgt für rote Köpfe in Redaktionen, in denen es nach den letzten Stellenstreichungen bei «Le Temps» ohnehin schon brodelt. Am 6. Dezember schickte die Société des rédacteurs et du personnel (die Personalkommission) der Tageszeitung «Tribune de Genève» einen aufgebrachten Brief an die Chefs von Tamedia: Diese sollten das bei der Übernahme von Edipresse gegebene Versprechen, den GAV zu bewahren, auch einhalten (s. unten).

Westschweizer Aktionstag

Am Dienstag, 11. Dezember, mobilisierten sich die Journalistinnen und Journalisten in der Westschweiz. In Genf begab sich eine Delegation der «Tribune de Genève» (TdG) um 11 Uhr zum Direktionsitz von «Le Temps» – der symbolischen Zentrale –, um Valérie Boagno ein Protestschreiben zu übergeben. Schliesslich skandierten etwa siebzig wütende Journalistinnen und Journalisten die Parole von Laurence Bézaguet, Journalistin und Mitglied der TdG-Personalkommission: «Non à la loi de la jungle – Nein zum Gesetz des Dschungels!» Der Bürgermeister von Genf, Rémy Pagani, ergriff während der Demonstration das Wort, um die Unterstützung der Genfer Behörden für diesen «berechtigten Kampf» zuzusichern. Stephanie Vonarburg, Zentralsekretärin Presse bei syndicom, brachte die Unterstützung unserer Gewerkschaft und der Redaktion des «Tages-Anzeigers» für diesen Kampf, der in der Deutschschweiz aufmerksam verfolgt wird, zum Ausdruck. Michael Ringier, Besitzer des Konzerns desselben Namens, und Pietro Supino, Präsident von Tamedia, konnten vor Ort ihren Unbeliebtheitsgrad messen. Supino war darüber so verwirrt, dass er in einen Zeitungsladen eintrat statt in die Räume von «Le Temps». In Lausanne demonstrierten etwa hundert Redaktionsmitarbeitende von 13.30 bis 14 Uhr vor dem Gebäude von Tamedia Westschweiz (ehemals Edipresse), dem Verlag von «24heures» und «Le Matin». Auch in den Räumen von «Le Nouvelliste» im Wallis wurden Aktionen organisiert. In Neuenburg legten die Journalistinnen und Journalisten von «L’Express» und «L’Impartial» von elf Uhr bis Mittag symbolisch die Arbeit nieder. In Freiburg äusserte etwa die Hälfte der Journalistinnen und Journalisten von «La Liberté» ihre Befürchtungen und ihr Unverständnis gegenüber dem Chef des Konzerns Saint-Paul. Das Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM) bezeichnete sich als «konsterniert».

Einsparung von 17 Millionen bei Tamedia Westschweiz?

syndicom unterstützt die aufgebrachten Redaktionen in ihrem Protest gegen diesen Affront durch die Arbeitgeber. Eben erst gaben Tamedia und Ringier, die beide durch die Übernahme zahlreicher Zeitungen die Verlagslandschaft in der Westschweiz massgeblich prägen, ihre hervorragenden Jahresabschlüsse bekannt. Nun schieben sie die Krise vor, um Mitarbeiterrechte und Löhne zu beschneiden. Um einen Gewinnsatz von 15% zu halten, setzen die Aktionäre und Aktionärinnen von Tamedia die Westschweizer Direktionen des Konzerns unter Druck: Diese leisten ihren «strukturellen Beitrag», indem sie für 2013 einen Plan zur Einsparung von 17 Millionen Franken ausarbeiten. Das hat Ludovic Rocchi, Journalist bei «Le Matin», am Megafon bekannt gegeben. Er deutete auch an, dass die Kürzungen nach einer Rentabilitätsprüfung bei Tamedia Westschweiz im Februar sogar noch höher ausfallen könnten.

Organisation der Gegen­massnahmen

Der vertragslose Zustand in der Deutschschweiz und im Tessin, der seit 2004 andauert, hat zu Lohndumping in den Redaktionen und zu Qualitätsverlust in den Zeitungen geführt. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrungen solidarisieren sich auch viele Redaktionen in der Deutschschweiz mit dem Protest ihrer Kolleginnen und Kollegen jenseits der Saane.

syndicom schliesst sich den Protesten in der Überzeugung an, dass sich die Schweizer Medienschaffenden jetzt gemeinsam für ihre Rechte zur Wehr setzen müssen. Die Journalistengewerkschaft kämpft seit 2004 gemeinsam mit den anderen Berufsverbänden um einen nationalen GAV für alle Schweizer Redaktionen und erinnert daran, dass ohne GAV keine Friedenspflicht besteht und die Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit niederlegen können. Die von den Medienleuten durch ihre Arbeit garantierte Meinungsfreiheit ist ein unabdingbares Gut in einer funktionierenden Demokratie. Auch deshalb ist es für die Journalistinnen und Journalisten wichtig, für geregelte Arbeitsverhältnisse und den Schutz der Arbeitnehmenden vor der selbstherrlichen Arroganz der Verlagshäuser zu kämpfen. Nun, da sich auch die Drucker in einem vertragslosen Zustand befinden, wird in den ersten Monaten 2013 der Gegenzug solidarisch organisiert. Impressum hat Médias Suisses eine Frist bis zum 18. Dezember gesetzt, um die Aufkündigung des GAV zurückzuziehen, was Voraussetzung für die Verhandlung ist. Wir berichten weiter!

Patricia Alcaraz ist Regional­sekretärin Presse Romandie.

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